Jesper Juul – Leitwölfe sein

Habt ihr schonmal was von Jesper Juul gehört? Bestimmt. Ganz bekannt ist sein Buch „Nein aus Liebe“. Dieses und „das kompetente Kind“ habe ich bereits gelesen und kritisch beäugt. Das heißt, ich finde vieles einleuchtend, was dort beschrieben wird, manches aber nicht ganz alltagstauglich. Genauso kritisch bin ich an sein neues Buch „Leitwölfe sein“ herangegangen. Es liest sich einfach und schnell und Jesper baut sogar einige Fallbeispiele ein. Ich muss sagen, mich überzeugt das, was er schreibt. Ich sehe aber wie er problematisch, dass unsere Gesellschaft und das Schulsystem noch nicht so weit sind, die Erkenntnisse gut umzusetzen. Gerade ich als Lehrerin stelle mir oft die Frage nach der optimalen Führung für meine Schüler. Aber so wie ich mir das vorstelle, ist es leider oft nicht realisierbar.

„Kinder wollen Erwachsene, die Führung übernehmen“
 
Jesper erklärt, dass Kinder zwar mit großer Weisheit geboren werden, ihnen aber die Lebenserfahrung fehlt, die wir Erwachsene an sie weitergeben müssen. Nur so können sie wichtige Kompetenzen erlangen, wie z.B. die Fähigkeit, vorauszudenken. Klingt logisch. Aber wie sieht denn eine gute Führung aus? Jesper sagt „provokativ, empathisch, flexibel, dialogbasiert und fürsorglich“. Aha. Wie mache ich das also jetzt?
Ein tollen Hinweis finde ich, dass man von seinem Kind genauso viel lernen kann wie man ihm beibringt. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen eben. Viele Eltern sind so versteift darin, wie ihr Kind sein und sich Verhalten soll, machen es zu ihrem Projekt und vergessen dahinter das Interesse und die Kreativität des kleinen Menschen. Leider passiert das durch den Druck der Außenwelt immer wieder ohne dass wir es merken. Kindergärten haben da einen großen Einfluss. Unserer bietet zum Beispiel keinen Mittagsschlaf an, so dass Finn von einen Tag auf den anderen lernen musste, nicht mehr zu schlafen, auch wenn er das anfangs noch gebraucht hätte. So hatte ich meist ein zickiges Kind zu Hause, das zu nichts Lust hatte, weil er einfach total müde war. Das hat sich Gott sei dank schnell gegeben, zeigt aber, dass wir nicht immer die Wahl haben, die Wünsche unseres Kindes zu erfüllen.
Das größere Problem sind alte Wertvorstellungen. Die meisten Eltern und wir Lehrer wollen wohlerzogene, gehorsame Kinder, die sich anpassen. Ja, ich gebe zu, das möchte ich gerne. So lässt es sich besser arbeiten. Nur wie setzt man das um? Und ist das im Sinne der Kinder? Früher wurde das noch gewaltsam erzwungen, heute gibt es Belohnungen und Bestrafungen. Auch wenn viele Eltern sich wünschen, ihre Kinder offener und ungezwungener zu erziehen, schaffen sie es oft nicht, weil sie es eben selbst nicht so kennen gelernt haben und ihnen die Kompetenz dazu fehlt.
Jesper Juul Leitwölfe sein
Vertrauen als Form der Führung
 
Kinder brauchen gar nicht so viel Aufmerksamkeit wie viele denken. Sie brauchen aber unser Vertrauen, dass das was sie machen in Ordnung ist. Von Geburt an lieben uns unsere Kinder bedingungslos, sie vertrauen uns 100%ig. Das ist ein einzigartiges Geschenk, das leider viele nicht Wert schätzen, weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, ihr Kind zu erziehen und zu manipulieren. Das hört sich hart an, aber wenn wir ehrlich sind und uns mal im Alltag beobachten, ist das genau so. Kinder lernen am besten, wenn wir ihnen nicht sagen, was zu tun ist, sondern wenn sie es selbst entdecken können. Das ist den meisten bekannt, aber es umzusetzen ist nicht so einfach.
Kindererziehung Jesper Juul
Was kann ich tun, damit ich mein Kind besser führe?
Zuerst einmal soll man mit sich selbst im Reinen sein. Das macht viel Sinn, weil wie soll ich meinem Kind gute Werte vermitteln, wenn ich nicht zufrieden mit mir bin.
Kinder haben das Gefühl, nicht okay zu sein, wenn wir die ganze Zeit damit beschäftigt sind, sie zu verändern. Einen tollen Tipp, den ich jetzt auch öfter beherzigen möchte ist, dass man sich einfach mal ohne Spielzeug neben sein Kind setzt und abwartet, was dieses gerne machen möchte. Genauso fragt man nicht, was denn heute im Kindergarten so passiert ist, sondern man erzählt selbst von seinem Tag. Das Kind fängt automatisch an zu erzählen. Ich habe das ausprobiert und tatsächlich hat Finn immer sofort auch berichtet, wenn ich damit begonnen habe. Viel ausführlicher als wenn ich ihn danach frage.
Mein Problem dabei ist immer, dass ich solche Bücher lese, das alles total einleuchtend finde, das einige Wochen auch umsetze und dann wieder in den alten Trott verfalle. Mit Alfie Kohns „Liebe ohne Belohnung und Bestrafung“ ist das leider ähnlich. Da ich mit Belohnen und Bestrafen groß geworden bin und das Schulsystem auch so angelegt ist, fällt es mir oft schwer, es zu lassen.
Super spannend fand ich ein Experiment, bei dem Eltern ein Wochenende lang ein Diktiergerät mit sich herum getragen haben. Anschließend haben sie festgestellt, dass 50% dessen, was sie zu ihren Kindern gesagt haben, unnötig war und etwa 20% genau das, was sie nie sagen wollten. Ich selbst erwische mich manchmal dabei, dass ich Finn ständig Anweisungen gebe, was er als nächstes tun soll. „Zieh dich aus, geh Hände waschen, räum deine Sachen weg, …“ Klar soll er das machen, aber oft gebe ich ihm gar nicht die Chance es selbst zu machen, sondern befehle gleich rum. Blödes Lehrer-Gen.
Jesper Juul Führung in der Familie
Durch Zufall habe ich bei Facebook eine Blogparade zu genau diesem Buch gefunden. Wenn ihr also noch mehr Beiträge zum Thema lesen möchtet, dann schaut da mal vorbei.
Und wenn ihr jetzt Lust habt, das Buch zu lesen, dann findet ihr das hier (Amazon Partnerlink). Jesper schreibt nämlich auch noch viel über die Frauen- und Männerrolle bei der Führung, das habe ich jetzt mal ganz außer Acht gelassen.
Und schreibt mir gerne in die Kommentare, ob ihr euch schonmal Gedanken über die Führung eurer Kinder gemacht habt.